2022 war ein Rekordjahr für den Fußball mit Frauen. Der VfL Wolfsburg spielte im Halbfinale der Champions League gegen Titelverteidiger FC Barcelona vor über 90 Tausend Zuschauer*innen. Die Tickets waren innerhalb von 24 Stunden ausverkauft. Auch die EM in England war ein Quoten-Hit. Die TV-Übertragung des Finales zwischen Deutschland und England sahen durchschnittlich knapp 18 Millionen Menschen in der ARD - das entspricht einem Marktanteil von 64,8 Prozent. Auch in der Bundesliga füllen die Spiele der Frauen inzwischen zu sogenannten Highlightspielen große Stadien. Sie bekommen also endlich die verdiente Aufmerksamkeit. Aber wie nutzt man diesen Hype am besten, damit er nachhaltig bleibt?
"Vorne ist da, wo sich niemand auskennt”, schreibt die ehemalige Nationalspielerin und Viktoria-Supporterin Tabea Kemme im Vorwort des Buchs “Fußball der Zukunft - Wie Frauen den Sport revolutionieren”. Wir haben mit Herausgeberin Alina Ruprecht über den aktuellen Stand in Deutschland, Europa und den USA gesprochen.
Alina Ruprecht hat einen Abschluss in Politikwissenschaft und macht derzeit ihren Master in European Studies. Sie schreibt für diverse Medien über den Fußball der Frauen in Deutschland und sagt: “Der sportliche Erfolg ist schon lange da, man hat nur nichts daraus gemacht. Das wird jetzt alles in Sekundenschnelle nachgeholt."
Haben wir die jetzt offenbar doch rasante Entwicklung in Deutschland den Vorreiterinnen in den USA, England oder Spanien zu verdanken?
A | Natürlich haben auch andere Teams, andere Pioniere in anderen Ländern viel gemacht, aber ich glaube, die Entwicklung der vergangenen Monate in Deutschland haben wir unserer Nationalmannschaft und deren Leistung bei der EM im Sommer 2022 zu verdanken. Wir haben direkt danach einen neuen Zuschauerrekord in der Bundesliga gehabt - beim Eröffnungsspiel von Eintracht Frankfurt gegen den FC Bayern München im Deutsche Bank-Park. Das war schon das erste Signal.
Wie professionell ist denn die 1. Bundesliga der Frauen derzeit?
A | Schwieriges Thema. Die italienische oder die englische Liga sind zum Beispiel vollständig professionalisiert. Das sind entsprechend auch attraktive Ziele für Spielerinnen. In der Bundesliga waren lange Zeit nur zwei Vereine vollständig professionalisiert: FC Bayern München und VfL Wolfsburg. Frankfurt hat nachgezogen, die TSG Hoffenheim auch, aber in anderen Klubs sind einfach zu viele Spielerinnen mit Nebenjobs beschäftigt. Wenn sich die Spielerinnen nicht vollständig auf ihren Sport konzentrieren können, kann kein fairer Wettbewerb entstehen.
Warum hapert es an einer gerechten Bezahlung?
A | Gute Frage. Der VfL Wolfsburg hat sehr früh angefangen, in den Fußball der Frauen zu investieren. Andere Vereine hatten da einfach noch nicht so den Willen oder die Motivation. Vom Verband kommen auch wenig Ideen, um einheitliche Strukturen für alle Vereine vorzuschreiben. Manche Vereine können in einem Gefüge nicht mehr mithalten.
Du klingst frustriert.
A | Wenn die Meisterschaft jedes Jahr nur zwischen zwei Teams entschieden wird, ist das auf Dauer nicht attraktiv. Für die Spielerinnen der Vereine ab der Tabellenmitte sind es teilweise unhaltbare Zustände. Wenn man sieht, was in England, Italien oder Spanien alles möglich ist, ist es kein Wunder, dass Spielerinnen ins Ausland abwandern.
Aktuelles Beispiel Jill Roord: Die 26-jährige Mittelfeld-Stammkraft wechselt zur neuen Saison vom deutschen Pokalsieger und Champions-League-Finalisten VFL Wolfsburg nach England zu Manchester City. Damit spielt die Niederländerin beim Tabellenvierten der FA Women’s Super League ab sofort nicht mehr auf der internationalen Club-Bühne, dafür aber in einer durchweg professionalisierten Liga.
(Credit: Manchester City FC)
Was könnten wir uns bei unseren europäischen Nachbarinnen abgucken?
A | Einiges. In der englischen Women's Super League müssen die Vereine den Spielerinnen so viel zahlen, dass sie keinem Nebenjob nachgehen müssen. Hierzulande können sich die meisten Spielerinnen ihren Lebensunterhalt nicht durch den Fußball sichern. Dann haben wir ab der nächsten Saison Montagsspiele. Mit An- und Abreise für ein auswärtiges Montagsspiel müssen sich Spielerinnen dann praktisch zwei Tage freinehmen. Da gehen viele Urlaubstage verloren! An solch kleinen Punkten hapert es schon.
Du hast die Unausgeglichenheit in der Bundesliga angesprochen. Turbine Potsdam konnte da nicht mehr mithalten. Was bedeutet das? Sind Frauenmannschaften doch nur ein Anhängsel des Männersports?
A | Der Verlust von Potsdam in der ersten Liga ist tragisch, weil es ein großer Traditionsverein ist, der viele europäische und deutsche Erfolge gefeiert hat. Einst war Potsdam das Aushängeschild des deutschen Fußballs der Frauen. Dass Turbine in die zweite Liga abgestiegen ist, sollte ein Alarmsignal sein! Mit der SGS Essen haben wir einen weiteren, reinen Frauenfußballverein, der sich noch ganz gut hält, weil man sich auf eine Rolle als Ausbildungsverein verständigt hat. Die haben ein Gespür für Nachwuchsspielerinnen und bilden toll aus. Dann kommen natürlich die größeren Klubs und kaufen die Spielerinnen. Wie es mit der SGS Essen in den nächsten Jahren weitergeht, bleibt abzuwarten.
Begehrlichkeiten um den Fußball mit Frauen wachsen und damit auch die Verantwortung. Die Liste der Herausforderungen ist lang. Es ist ein Spagat zwischen Sport, Medien, Wirtschaft, Nachhaltigkeit, Fairness, Diversität und Gleichberechtigung. Was wird am schwierigsten?
A | Wie die Spielerinnen nahbar und authentisch bleiben können. Immer mehr Fans strömen in die Stadien. Dann wird nicht mehr jede Spielerin Zeit für Autogramme oder Erinnerungsfotos haben. Natürlich werden sich Dinge verändern. Aber ich glaube nicht, dass die Spielerinnen eines Tages abgehobene Millionäre werden, wie im Männerfußball. Was die Kultur um den Fußball der Frauen so einzigartig macht, ist, dass ein kollektiver Wille da ist, das Ganze zu bewahren.
Fußball ist ja mehr als nur Sport. Fußball hat einen gesamtgesellschaftlichen Einfluss. Rassismus, Sexismus, Homophobie. Dagegen passiert im Männersport viel zu wenig. Während lesbische Fußballspielerinnen kein Problem sind, tut sich der Männersport immer noch schwer mit Offenheit. Woran liegt's?
A | Es sind Strukturen, Denkmuster, Ängste, Befürchtungen, die sich über Jahre hin manifestiert haben und die sich nicht über Nacht abbauen lassen. Da kann Fußball der Frauen mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass es anders geht. Ich hoffe, dass sich das dann Fans und Verantwortliche aus dem Fußball der Männer anschauen und schrittweise ihre Bedenken abbauen.
Die Sportjournalistin Alina Schwermer schreibt in ihrem Beitrag, Frauen im Fußball seien “ein Gradmesser der Gleichberechtigung in einer Gesellschaft. Der Wunsch nach gleichen Bedingungen wie die Männer zeigt jedoch zugleich, dass Feminismus im Fußball oft oberflächlich bleibt. Die feministische Sportkritik wollte zwischenzeitlich das Spiel selbst verändern, seine Gewalt und sein bedingungsloses Leistungsdenken abschaffen. Aber übrig blieb nur, am Spiel der Männer teilhaben zu wollen. (…)
Die revolutionäre Bedeutung dieser Parole aber wird ausgeblendet. ‘Gleicher Lohn für gleiche Arbeit’ hieße ja auch gleiches Geld für eine Spielerin aus Thailand, für eine mit körperlicher Einschränkung oder eine in der zweiten Liga. Das ist aber nicht gemeint. Die wirtschaftsliberalen Proteste im Frauenfußball der Gegenwart versuchen, nur ein Privileg zu beseitigen - die eigenen Privilegien nimmt man als selbstverständlich an.”
Wie sähe ein wahrhaft gleichberechtigter Fußball aus? Einer, der Unterdrückung, Ausbeutung, Dominanz und bedingungsloses Leistungsstreben nicht reproduziert, sondern kreativer denkt als in Sieg und Niederlage, Mann oder Frau?
A | Spieler und Spielerinnen sollten gleichberechtigt die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Diese Erwartungshaltung an die Frauen, dass sie repräsentieren, dass sie Sichtbarkeit schaffen - das sollte man nicht alles den Spielerinnen allein aufbürden. Da müssen auch Männer Teile übernehmen, das ist ganz klar. Und davon sehe ich derzeit zu wenig.
Strukturell hat der Fußball mit Frauen ähnliche Änderungen durchlaufen wie der Männersport. Aufblähung des Spielplans, Maximierung der Einnahmen durch Reformen der Wettbewerbe, teurere TV-Verträge und die wachsende Schere zwischen kleinen und großen Klubs. Wie vermeiden wir, dass am Ende doch nur eine Kopie des Männerfußballs entsteht?
A | Ich bin der Überzeugung, dass sich Spielerinnen und Fans der Authentizität, der ganzen Kultur um den Sport herum bewusst sind und das auch aktiv aufrechterhalten wollen. Ich glaube, dass es nicht zu einer Kopie kommt. Ich glaube, das Bewusstsein ist einfach viel zu groß, dass das nicht sein soll und dass viele es auch gar nicht wollen.
In der kommenden Saison müssen Männer-Bundesligisten nach der neuen Lizenzierungsordnung den Fußball mit Frauen fördern. Würdest du sagen, "The present is female" oder "The future is female"?
A | Beides. Die Gegenwart muss weiblich sein, damit man in Zukunft etwas hat, worauf man aufbauen kann. Man braucht ja eine Basis. Der sportliche Erfolg in Deutschland ist schon lange da, man hat nur nichts daraus gemacht. Man hat nicht darauf aufgebaut. Und das wird jetzt alles in Sekundenschnelle nachgeholt.
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