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Homophobie hat im Fußball nichts zu suchen

Liebe geht raus an alle Sportsfreund*innen und an alle schwulen Männer! Die Zeiten gendern sich (um mal ein kleines Wortspiel zu bemühen). Der Paragraph 175 im Strafgesetzbuch kriminalisierte 123 Jahre lang schwule und bisexuelle Männer und legitimierte strafrechtliche Verfolgung. Erst 1994 wurde §175 StGB endgültig abgeschafft.


2010: Gary Neville von Manchester United küsst seinen Teamkollegen Paul Scholes auf den Mund, nachdem dieser im Manchester-Derby in der Nachspielzeit den Siegtreffer erzielte. Ob Freude oder Liebe - niemand sollte seine Gefühle verstecken müssen…

(Credit: picture alliance / dpa)


Im Fußball der Männer ist Homosexualität jedoch noch immer ein Tabu.

Doch daran soll sich spätestens am 17. Mai 2024 etwas ändern. Was es mit der Kampagne “Sports free” auf sich hat und warum gleichgeschlechtliche Liebe im Fußball der Frauen offenbar kein Problem ist, lest ihr hier.

 

"Frauen im Fußball sind mit Frauen zusammen. Warum ist das bei den Männern nicht so?” fragt die 12-jährige Fußballspielerin Lotte aus Berlin mit aufgeregter Stimme und stockendem Atem den 52-fachen Nationalspieler Thomas Hitzlsperger










Thomas Hitzlsperger widmete seine Jugend dem FC Bayern München und wechselte 2000 zu Aston Villa in die englische Premier-League. Mit dem VfB Stuttgart holte er 2007 die Meisterschale. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2008 Vize-Europameister. Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn wagte Hitzlsperger im Januar 2014 sein Coming-out. Als erster deutscher Profifußballer überhaupt.  Im März 2024 erschien sein Buch "Mutproben".









Warum ist Schwulsein im Männerfußball im Jahr 2024 offenbar immer noch ein Problem? Eine Frage, die so einfach erscheint, dass sich offenbar nur ein Kind traut, sie öffentlich zu stellen, die aber dennoch schwierig zu beantworten ist. Das gibt auch Thomas Hitzlsperger zu. Die 12-jährige Lotte und der 41-jährige Hitzlsperger stehen sich bei einer Veranstaltung Ende März im Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) auf der Bühne gegenüber. Geladen hat FC Viktoria Berlin Investorin Jutta Allmendinger, die Präsidentin des WZB. Die Gesprächsreihe heißt “Mutproben”, wie Hitzlspergers Buch. Oder heißt es doch “Mut proben”? Ein kluges, vom Verlag erdachtes Wortspiel. Zehn Jahre ist es her, dass Thomas Hitzlsperger öffentlich machte, dass er schwul ist. Dieser Moment gilt als Meilenstein im Fußball. Doch offenbar ist beim Thema Homosexualität im Männerfußball auch heute noch eine gehörige Portion Mut nötig.


"Die Kabine hat mich abgeschreckt”


Was für ihn eine Mutprobe sei, will Jutta Allmendinger auf der Bühne von Thomas Hitzlsperger wissen. “Vor anderen zu sprechen”, entgegnet der gebürtige Bayer. In seiner Jugend sei er sehr auf seine Außenwirkung bedacht gewesen und habe sich oft gesorgt, was andere über ihn oder seine Familie wohl dächten. So sei er geprägt. Doch so wollte er sein Leben nicht für immer bestreiten. “Ich bin anders. Ich bin einer derjenigen, über die im Profifußball spekuliert wurde.”


Laut Hitzlsperger sei Männersport im Allgemeinen das Problem, nicht nur der Fußball. Man assoziiere Männer, vor allem Sportler mit Stärke und Leistung, Schwulsein wiederum mit Schwäche. Das passe nicht zusammen. Hinzu komme die Intimität der Kabine. “Man trainiert zusammen, man schwitzt, man geht zusammen duschen…das hat man im Büro nicht.” Es habe Spieler gegeben, die klar zum Ausdruck gebracht hätten, sie würden sich unwohl fühlen mit einem schwulen Kollegen. Auch die Religion spiele dabei eine Rolle. Es seien homophobe Äußerungen gefallen. “Die Kabine hat mich abgeschreckt”, räumt Hitzlsperger ein. Er habe sich ausreden lassen, sich während seiner aktiven Laufbahn zu outen. Gleichzeitig wusste er: “Wenn ich mich nicht traue, es zu sagen, wird’s eng für mich…”


"Endlich kann ich ich sein"


Doch es gibt sie, die schwulen Sportler: NBA-Center Jason Collins oder Michael Sam in der NFL zum Beispiel. Beide hatten wie Thomas Hitzlsperger 2014 ihr Coming-out - allerdings auch erst nach ihrer aktiven Zeit. Trotzdem ein gutes Jahr. Und das war erst der Anfang... "Ich bin schwul", schrieb Andy Brennan 2019 auf Instagram. "Ich will komplett offen damit umgehen."

In Australien war der damals 26-jährige Zweitliga- Spieler der erste aktive Profi, der sein Schwulsein öffentlich gemacht hat. "Ich wollte selbst derjenige sein, der die Geschichte erzählt. Und nicht andere meine Geschichte erzählen lassen. (...) Endlich kann ich ich sein, und das fühlt sich überwältigend an."

(Credit: Getty Images)

Bevor Andy Brennan seine Homsexualität öffentlich machte, holte er sich Rat bei Collin Martin. Martin war damals bei Minnesota United in den USA unter Vertrag und den Schritt an die Öffentlichkeit zur Pride Night im Juni 2018 gegangen. Mit einem Tweet machte er sein Schwulsein öffentlich und erntete viel Unterstützung. Bei seiner Einwechslung im ersten Spiel nach seinem Coming-out erhoben sich die Zuschauer*innen, klatschten lange und enthüllten ein Unterstützungsbanner mit der Aufschrift “Pride Night Every Night”.




"Ich hatte nicht gedacht, wie sehr die Leute meine Geschichte gebraucht haben", sagt Collin Martin damals in einem Werbefilm für einen Sportartikelhersteller.


(Credit: Screenshot Twitter/@martcw12)




Der erste aktive Fußballprofi in der australischen A-League, der sein Coming-out gab, war Josh Cavallo. “Es ist in Ordnung, schwul zu sein und Fußball zu spielen. Das möchte ich allen anderen Menschen zeigen, die Probleme und Angst haben”, verkündete der damalige Mittelfeldspieler von Adelaide United 2021 auf Social Media. Doch der Fall von Justin Fashanu aus England habe ihn vor seinem Schritt an die Öffentlichkeit beunruhigt…


Am 22. Oktober 1990 druckte die britische Boulevardzeitung Sun die Schlagzeile "Ich bin schwul" neben ein Foto von Justin Fashanu. Der Premier-League-Spieler ist damals der erste Fußballprofi der Welt, dessen Homosexualität öffentlich wird.  


(Credit: imago)


Fashanu spielt bei Nottingham Forest, als er mit einer Knieverletzung lange ausfällt und nie wieder seine alte Form zurückerlangt. In der Folge spielt er in eher unterklassigen US-Klubs und das Geld wird knapp. Die Sun bietet ihm 100 000 Pfund für sein Coming-out. Acht Jahre nach dem Zeitungsartikel - am 2. Mai 1998 - begeht Justin Fashanu Suizid. Er ist damals 37 Jahre alt.


2023 hat der tschechische Fußballnationalspieler Jakub Jankto seine Homosexualität öffentlich gemacht. Damit ist der Spieler von Sparta Prag aktuell der einzige aktive Profi in einer europäischen Topliga, der offen schwul lebt.


(Credit: Laurence Griffiths/AFP)


Für all die anderen homosexuellen Fußballprofis gibt es viele Möglichkeiten, ein Doppelleben zu führen. Samt Agenturen, die Alibi-Frauen für öffentliche Auftritte oder gemeinsame Urlaubsbilder vermitteln.


Homophobie war über Jahrzehnte Teil der Fußball-Folklore

2019 wurde Homophobie regelrecht zum Problem auf den Rängen in Frankreichs Fußballstadien. Zahlreiche Spiele in der ersten und zweiten Liga wurden ausgesetzt. Bei der Partie OGC Nizza gegen Olympique Marseille sangen die Heimfans "Les Marseillais c'est des pédés”. Was sich auf Französisch auch noch reimt, heißt auf Deutsch so viel wie “Die Marseiller sind Schwuchteln”. Dazu wurden auf der Tribüne Banner mit homophoben Sprüchen ausgerollt. Ganze zwölf Minuten dauerte die Spielunterbrechung.


Viel wurde damals über die Frage diskutiert, wie viel Homophobie der Fußball aushält, bzw. toleriert. Schließlich gehöre das doch ein bisschen dazu, genau wie Schiri-Beschimpfungen. Alles nur Fan-Folklore? Der damalige Präsident des französischen Fußballverbands, Noël Le Graët, hielt Sanktionen wie Spielunterbrechungen für überzogen. “Fußball in Frankreich: Homophob - oder einfach bloß dumm?”, fragte man sich auf süddeutsche.de.


Heute schreiben wir das Jahr 2024 - das Jahr, in dem in Österreich erst kürzlich drei Nationalspieler nach homophoben Gesängen aus dem Kader gestrichen wurden. Ein Teil des Teams von Rapid Wien hat den Derbysieg über Austria Wien im März mit Beleidigungen und schwulenfeindlichen Äußerungen gefeiert. Das hatte Konsequenzen: Werder Bremens künftiger Spieler Marco Grüll, Ex-Schalker Guido Burgstaller und Rapid-Torwart Niklas Hedl wurden von ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick vorübergehend aus der österreichischen Nationalmannschaft geschmissen.


Wie weit sind wir in Deutschland? Zumindest auf den Rängen scheint sich teilweise etwas zu ändern. Es gibt schwul-lesbische Fanclubs, wie die Berliner Hertha-Junxx, die Stuttgarter Junxx beim VfB, die Queer Devils vom 1. FC Kaiserslautern oder Queerpass Bayern beim FCB. Ist damit die Zeit reif für offen schwule Fußballprofis?


Thomas Hitzlsperger ist einigermaßen guter Dinge. “Ich bin in Deutschland geschützt durch das Gesetz. Ich bin nicht geschützt durch die Gesellschaft. Aber unsere Gesellschaft ist nicht ganz so schlecht, wie man denkt”, sagt er auf der Bühne im Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. Dort wird er natürlich auch auf den 17. Mai angesprochen.

 

Es gab die Aktion “Act out” im Schauspielbetrieb, “Out in Church” in der katholischen Kirche und der 17. Mai 2024 soll unter dem Titel “Sports free” in die Geschichte eingehen. Der 17. Mai ist der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (kurz IDAHOBIT). Just an diesem Tag ist ein Gruppen-Coming-out queerer Athlet*innen im Profisport geplant. Initiiert hat es Marcus Urban.



Marcus Urban ist Mitgründer von DIVERSERO, Ex-Profifußballer und schwul. Er spielte in der Jugendnationalmannschaft der DDR und beim Zweitligisten FC Rot-Weiß Erfurt. Während der Pubertät war Marcus das erste Mal in einen Mann verliebt - und hat sich dieses Gefühl nicht erlaubt: “Ich bin Fußballer, ich kann nicht schwul sein…” Doch er wollte sich nicht verstecken und beendete später seine Karriere als Kicker. 2008 erschien seine Biografie: „Versteckspieler: Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban“.




  • die Kampagne "Sports free" und das angekündigte Gruppen-Coming-out am 17.05.

  • Woran es liegt, dass immer noch kein aktiver deutscher Fußballprofi in Deutschland sein Coming-out hatte?

  • Warum es bei Frauen im Fußball offenbar kein Problem ist?

... und vieles mehr.


 

Hitzlsperger: “Ich bin froh, dass der Frauenfußball dieses Problem nicht hat”


Zurück zur Eingangsfrage der 12-jährigen Lotte: “Frauen im Fußball sind mit Frauen zusammen. Warum ist das bei den Männern nicht so?” “Eine schwierige Frage”, räumt Thomas Hitzlsperger ein. “Ich kenne nicht genug Männer, die mit mir darüber reden, warum sie nicht reden. (...) Ich bin froh, dass der Frauenfußball dieses Problem nicht hat”. Frauenfußball habe lange ein Nischendasein gefristet, es habe niemanden interessiert, ob Spielerinnen lesbisch seien. “Frauen müssen Vorbilder sein!”, ergänzt Hitzlsperger.


Zehn Jahre ist es her, dass der frühere Mittelfeldspieler des VfB Stuttgart und Nationalspieler sein Schwulsein öffentlich gemacht hat. Dafür wurde er unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er hoffe sehr, dass der Plan am 17. Mai aufgehe, so Hitzlsperger. Vielleicht gibt es dann genug Männer, die offen reden und so einen weiteren Meilenstein im Fußball erreichen. Für den Sport und für die Gesellschaft.


Denn was würde wohl geschehen, wenn sich nur ein aktiver Bundesligaspieler öffentlich zu seiner Homosexualität bekennen würde? Würde das nicht auch eine Strahlkraft über den Sport hinaus entwickeln? Wäre es irgendwann möglich, das Patriarchat und die mit ihm verbundenen Geschlechts- und Rollenstereotype zu überwinden, unter denen Frauen und Männer gleichermaßen leiden? Noch klingt es wie eine Utopie. Machen wir sie zur Realität und packen es an. Gemeinsam!


Mehr zum Thema

> Die Amazon-Doku "Das letzte Tabu" beleuchtet das Thema Homosexualität im Männerfußball und zeigt Fortschritte und Barrieren.


> Wie können Vereine oder Verbände Spieler*innen und Mitarbeitende, die mit ihrer sexuellen Orientierung offen und selbstverständlich umgehen möchten, unterstützen? Dazu gibt es eine Infobroschüre vom DFB. 


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